Finale furioso
Bericht im Weser-Kurier am 12. November 2018 (Ruth Gerbracht)
Die Grün-Gold-Formation trotzt allen Widrigkeiten und überzeugt mit dem erneuten Meistertitel
Braunschweig. Es war ein Wechselbad der Gefühle für die Grün-Gold-Formation und ihre Trainer. So kraftraubend hatten sie sich nach den exzellenten Leistungen im Training ihre Titelverteidigung nicht vorgestellt. Als die Bremer dann am Ende nach einem echten Kraftakt doch wieder die Nase vorn hatten, gab es eher verhaltenen Jubel, so viel Energie hatte sie die deutsche Meisterschaft in Braunschweig gekostet. Zudem mussten sie einen Moment der Unsportlichkeit in einer Halle hinnehmen, die ansonsten dem Grün-Gold-Club immer wohl gesonnen war.
Nach einem fehlerfreien furiosen Finaldurchgang stand fest: Die Lateinformation des Grün-Gold-Club Bremen hat sich zum zwölften Mal in Folge mit 34,250 Punkten den Titel geholt. Doch nicht wenige der 5000 Zuschauer in der Volkswagen Halle wollten dieses Ergebnis nicht akzeptieren. Es gab tatsächlich Pfiffe, und dafür tobenden Applaus für die Konkurrenz aus Velbert, die erneut mit 33,458 Punkten Zweite wurde. „Keine Mannschaft hat es verdient, so behandelt zu werden“, erklärte ein wütender Roberto Albanese. „Die Wertungsrichter haben entschieden und wer uns schlagen will, der muss eben besser sein.“
Das aber war auch am Sonnabend nicht der Fall. Kein Team tanzte besser. Roberto Albanese geht in all seinen Choreografien hohes Risiko ein, denn sechs Minuten lang gilt es, Höchstschwierigkeiten rasant und fehlerfrei zu tanzen. Das ist eine Herausforderung, der sich zurzeit keine andere Mannschaft so stellt. Das soll die Leistung der Velberter nicht schmälern. Das tänzerisch eingespielte Team hat sich in allen Durchgängen hervorragend präsentiert. Und genau aus diesem Grunde war die erfolgreiche Titelverteidigung am Ende eine Herkulesaufgabe aus Bremer Sicht.
Es war ein Abend, der kaum dramatischer für den Grün-Gold-Club hätte verlaufen können. „Ein Arbeitssieg“, nannten die Tänzer Raimund Meier und Kai Tausch die Titelverteidigung. So etwas müsse er in seinem Alter nicht mehr wirklich haben, betonte Thomas Friedrich, der mit seinen 40 Jahren mittlerweile auch der Pizarro des Grün-Gold-Club genannt wird. Dabei hatte sich die Mannschaft das Leben selbst schwer gemacht. So wunderbar locker sie die neue Choreografie „This is me“ bei der Generalprobe getanzt hatte, so verkrampft und gehemmt ging die Formation in den Wettkampf. Die Folge: Unter anderem ein grober Patzer in der Vorrunde. Das Ergebnis: Die Bremer lagen zu diesem Zeitpunkt mit 0,2 Punkten hinter dem Rivalen aus Velbert. Roberto Albanese konnte sich das kaum erklären. „Die ganze Performance stimmte nicht“, raunte der Trainer, „da muss was passieren.“ Hinter verschlossenen Türen versuchte er, seine Mannschaft wieder auf Kurs zu bringen. „Vielleicht waren wir uns auch zu sicher, nachdem alles im Training so perfekt schien“, versucht Kapitän Kai Tausch einen Grund zu finden.
Aber es wurde besser. Die Zwischenrunde war tänzerisch eine sehenswerte Darstellung, aber noch immer nicht fehlerfrei. Eine gewisse Unsicherheit war im Bremer Team nicht zu übersehen. „Wir waren heute einfach nicht bei uns, nicht wirklich gemeinsam auf der Fläche“, meinte Thomas Friedrich. Dennoch – mit der Leistung des zweiten Durchgangs hatten die Wertungsrichter den Grün-Gold-Club zumindest wieder auf Platz eins gesetzt. Was jedoch keine Garantie für den Titelgewinn bedeutete. Weitere Fehler im Finale hätten die Wertungsrichter womöglich nicht hingenommen. Entsprechend sauer reagierte der Trainer: Wenn wir so weitermachen, dann verlieren wir. Also erneut: Klausur hinter verschlossenen Türen. Tacheles reden.
Dass die Mannschaft im Finale als erstes von vier Teams aufs Parkett musste, war an diesem Abend weder Vorteil noch Nachteil, es war einfach egal. Die Lateinformation musste liefern, so wie der Trainer es bei der Generalprobe gefordert hatte. Und endlich schien die Ansprache gefruchtet zu haben. Die schwierigen Tanzelemente und anspruchsvollen Bilderwechsel waren auf einmal kein Problem mehr. Die Sicherheit kehrte zurück. Elegant, aber auch sportlich dynamisch, tanzte sich die Lateinformation eindrucksvoll wieder zurück. Roberto Albanese explodierte förmlich auf seinem Stuhl, als er merkte, dass seine Mannschaft auf der Zielgeraden mit gewohnter Stärke und Hingabe zum Titelgewinn hin tanzte. Es war, als ob er versuchte, all seine Energien auf das Team zu übertragen. „Wenn ich heute nicht auf 180 gewesen wäre, hätten wir nicht gewonnen“, erklärte Roberto Albanese, der den kompletten Wettkampftag so angespannt und aufgebracht erlebte, um dann aber seine Wut doch wieder in positive Energie umzusetzen.
„Sie haben den Respekt vor der Choreografie wieder gefunden“, meinte der Coach. Was der Trainer der Mannschaft immer wieder abverlangt, ist Höchstleistung. Die Choreografie „This is me“ besitzt einen enormen Schwierigkeitsgrad, der selbst für die routinierten Tänzer immer wieder eine Herausforderung ist. „Die Choreo ist ungeheuer komplex. Du musst die ganze Zeit hoch konzentriert sein, um die nächsten Linien zu gehen“, sagt Thomas Friedrich. Aber auch er weiß – nur so kann man auch international punkten. „Was nutzt mir eine simple Choreografie, wenn ich damit bei der WM nicht aufs Podium komme“, sagt Albanese, der seinem Anspruch wieder treu geblieben ist. Drei Wochen hat die Mannschaft nun noch Zeit, sich zu stabilisieren. Dann trifft sie in China bei der WM auf die starke Konkurrenz vor allem aus Russland. „Bis dahin heißt es für uns, ohne Ende zu trainieren“, erklärt Kai Tausch.
Was bleibt nach Ende einer komplizierten Titelverteidigung? Vor allem die Erkenntnis, dass der Erfolgshunger auch nach insgesamt 14 deutschen Meistertiteln nicht nachgelassen hat, sonst hätte die Grün-Gold-Formation eine solche Energieleistung im Finale nicht hinbekommen. Möglicherweise wünschen sich angesichts der Pfiffe einige Tanzsport-Fans mal zwischenzeitlich einen neuen Deutschen Meister, aber dann ist es vornehmlich an der Konkurrenz zu liefern. Die tänzerische Messlatte haben die Bremer jedenfalls wieder einmal hoch gehängt.
Endergebnis
1. Grün-Gold-Club Bremen⇒ 34,250
2. TSZ Velbert⇒ 33,458
3. TSA Blau-Weiss Buchholz⇒ 30,417
4. TSG Bremerhaven ⇒29,666
„Wenn ich nicht auf 180 gewesen wäre, hätten wir heute nicht gewonnen.“
Roberto Albanese